oder
»Wie Spieleabende den Familienfrieden gefährden!«
Für Marius
Eigentlich war es ein harmonischer Abend gewesen – bis zu dem Punkt, als jemand die Idee hatte, etwas zu spielen: zum Beispiel Monopoly, diese Ausgeburt kapitalistischer Ausbeutung und sozialer Entfremdung! Oder das andere, das mit dem Rauswerfen! »Au ja«, klatschte Tochter begeistert in die Hände. »Ich bin da raus«, kommentierte ich in weiser Voraussicht. Ich weiß um die Brisanz von vorgeblich ach so heiteren Spieleabenden. Letzten Endes werden zu solchen Anlässen immer alte Rechnungen beglichen oder neue ausgestellt. Und dann der ewige Streit um Regeln: »Rauschschmeißen geht vor Einsetzen«, habe ich noch meinen Vater im Ohr.
Um all die glücklichen, weil nicht wissenden Singles unter euch teilhaben zu lassen: es geht um »Mensch ärgere dich nicht«. Klingt wie Kants kategorischer Imperativ, ist aber lediglich eine vorsorglich vorgetragene Bitte, der andere möge nicht zurückschlagen, auch wenn man ihn permanent piesackt! Wem Kants Ausführungen zu langatmig sind, hier des langen Textes kurzer Sinn: Handle stets so, dass andere sich ein Beispiel daran nehmen können! Oder andersherum: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu! Womit Spiele-Ideen wie Mensch-ärgere-dich-nicht ad absurdum geführt sind. — — —
Darüber sollte ich mal ein kleines Essay schreiben! Gesagt, getan, Ich schnappe mir das Notebook und fläze mich aufs Sofa. Der Titel ist schnell gefunden und ich tippe munter drauflos. Die Sätze sprudeln geradezu aus mir heraus, da unterbricht mich jäh unsere Griechische Bracke. Ella legt grinsend eine Pfote auf mein Knie, mit der anderen tatzelt sie auffordernd nach mir und der Tastatur. Mir kommt’s vor wie in meiner geliebten US-Serie »Fury« aus seligen Kindertagen – »Na, Fury, wie wär’s mit einem kleinen Ausritt?«. Och nö, flehe ich stumm, du warst gerade erst draußen. Ella bleibt penetrant. »Alter, gönn deinen Augen mal ´ne Auszeit!«, insistiert sie. »Ach ja«, patze ich zurück, »keine Ahnung von ›Platz!‹ oder ›Sitz!‹, aber sich jetzt als Blindenhund aufspielen?« Irgendwann gebe ich, nolens volens, endlich nach. Gegen canische Penetranz komme ich einfach nicht an.
Ich vergaß zu erwähnen: es ist Sonntag, der 10. August, Marius‘ Geburtstag! Draußen hat der Stern die Luft auf handgestoppte 30 Grad aufgeheizt – im Schatten! Die restliche Familie (Gattin, Tochter und ihr Freund) hat sich um den Tisch auf dem Balkon versammelt und spielt besagtes Ärgernis. Bevor Ella mich aus dem Haus ziehen kann, lege ich ein gestartetes Aufnahmegerät auf den Spieltisch: »Ab jetzt kann jedes Wort gegen euch verwendet werden«, warne ich noch. Dreißig Minuten später nähere ich mich wieder dem Haus. Kein Streifenwagen vor der Tür. Ein gutes Zeichen! Oder sind die gerade an einem anderen Tatort? Auf mein Klingeln wird uns aufgetan – gottseidank, sie leben noch!
Zurück zum Text – besagter Abend war bis dato durchaus harmonisch verlaufen: ein reichlich gedeckter Abendbrottisch, gute Getränke, nette Gespräche. Friede, Freude. Eierkuchen! Dann dieses »Wirf-mich-raus-und-ich-raste-aus«-Ding. Ich bin der Meinung, bezeichnend für ein Spiel sind die dabei geführten Dialoge. Hier ein kleiner Auszug (es gilt das gesprochene Wort):
– Er: Manno! Wieso schmeißt du immer nur mich!?
– Sie: Aber wenn ich doch muss?
– Das kotzt mich schon wieder an!
– Hähähä!
– Weil du immer nur auf meine Seite gehst!
– Stimmt doch gar nicht!
– Ja weil du Schwammkopf dich immer nur auf mich fokussierst!
– Tja, Thaddäus …
– Die Frau hat nur Glück in solchen Dingen!
– Du musst halt schneller von mir wegrennen!
– Hätt‘ ich mal früher machen …
– Wie meinst‘n das?
– Egal, außerdem krieg ich immer nur Einser.
– Dann würfle halt Sechser.
– Die hast du doch alle im Abo! Echt voll Asi!
– Heul leise!
– Fahr doch mal rüber auf rechts!
– Was soll ich denn bitte da?
– So, ha! Jetzt geht’s mal andersherum!
– Schatz, wenn du mich liebst, dann schmeißt du den anderen …
– Vergiss es!
– DU [ZENSIERT] kannst heute Nacht woanders …
– Hey!!!
Also »Krieg und Frieden« ist dagegen die reinste Lovestory. Wenn das zur ständigen Einrichtung mutiert, wird das nie was mit Enkelkindern! Obwohl, das ersparte mir in noch ferner Zukunft ähnliche Spieleabende mit der unbekannten Brut. Wenn schon die Eltern so sind …