Take that, »Kidch«!

Wenn du mal nix hörst, genieße es! Ganz sicher brauchst du kein »Kind« im Ohr!

Kennst du das auch? Manches Mal möchte man sie herzlich piesacken – und zwar genauso oft, wie sie uns gedankenlos und vor allem penetrant nerven! Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie du mir, so ich euch: »Seit dreiundzwanzig Uhrrr fönfundvörzich wird zorröckgepeinigt!« – Ich spreche von unseren Kindern.

Einst wurde uns versprochen, sie seien unsere Zukunft. Ha – wann habt ihr das letzte Mal in die Zimmer eurer Kinder geschaut? Habt ihr das Bild vor euren geistigen Augen? So sieht unsere rosige Zukunft aus, genau so! Jede Menge Klamotten auf dem Bett und leere Flaschen und Pizza-Schachteln auf dem Boden. Die Pizza-Kartons sind inzwischen vermutlich bereits Habitate seltener und darum geschützter Lebensformen – weswegen man sie nicht mehr entfernen darf, ohne Ärger mit dem Umweltschutz zu bekommen. Ich habe bereits eine Begehung mit Cem Özdemir vereinbart.

Zwischen all dem Gedöns eurer Kinder werdet ihr todsicher auch lang Vermisstes wiederentdecken: Adiletten, Ladekabel, Schlüssel (»Hast du mir mal deinen, ich finde meinen gerade nicht«), iPads, Notebooks, die Spiegel-Reflex, Earbuds – ja, sogar deine T-Shirts und Sneaker-Socken! Es ist zum Verzweifeln …

Und dann dröhnt auch noch der satte Bass deiner heiß geliebten »harman/kardon« aus deinen Augapfel-Boxen bis tief in die Nacht. Nicht verschiedene Stücke, nein, immer dieses eine, das nur aus Drum-Beats zu bestehen scheint: »uff-ta-uff-ta-uff-ta…« – in Dauerschleife immer und immer wieder.

Was hätte dein Vater wohl gemacht? Er wäre an den Sicherungskasten und hätte dir den Strom abgedreht. Als einzige Warnung hätte er vorher genau einmal nach oben geschrien, du solltest endlich die »N…«-Musik leiser drehen, man sei schließlich nicht bei den Hottentotten. Ach ja, und ob du schwerhörig seist!

Und wie ist es heute? Das N-Wort benutzt du nicht mehr und dank neuester Technik ist Schreien und Stromabdrehen inzwischen auch nicht mehr nötig – heute wodsebbst du (also, diese ständigen Anglizismen sind echt ein No-go) aufs Handy deiner Tochter: »What the f*ck!? Bist du schwerhörig? Dreh endlich diese Urwaldmusik leise!«

No Chance, keine Antwort! Wenn du mal 5 Minuten offline bist und nicht umgehend antwortest, wird gleich nachgefragt, ob du noch Blutdruck hast oder man schon mal den »Defi« (Defibrillator) klarmachen soll. Aber wehe, du brauchst mal was! Still ruht der See – na ja, still wohl eher nicht, die Bässe sorgen schon für schallende Wellen vom Format Triple-X.

Irgendwann hast du die Faxen dicke und gehst runter. Deine Tochter grooved headbangend und lauthals singend durch ihr Chaos, welches sie anderen bedarfsweise als persönliche Note verkauft. Irgendwie passt der gesungene Text (hört sich an wie Adeles »Hometown«) nicht zum Techno-Bass-Crescendo aus den Lautsprechern. Ach ja, frau hat deine »Over-ears« auf den Löffeln und vermutlich eine der zwei einzigen ihr vertrauten Betriebsarten eingestellt: laut oder mega-laut! Da kriegt man die zweimal 100 Watt Sinus meiner »hk« natürlich nicht so mit. Ein Wunder, dass wenigstens der Kinobildfernseher aus ist.

Ich tippe leicht an ihre Schulter. Im nächsten Moment ein hochfahrender Aufschrei wie die Trompeten von Jericho! Ich kontere nicht minder erschrocken eine Oktave tiefer mit der doppelten Lautstärke! Das führt dazu, dass wir uns nun gegenseitig bis auf die höchstmöglichen von menschlichen Stimmritzen erzeugbaren Dezibel-Werte steigern. Allerdings hat Tochter den Vorteil, dass die Kopfhörer bei ihr schlimmste Hörschäden verhindern, während mir anschließend die Ohren klingeln.

»Alter, geht’s noch?! Mir geht die Pumpe wie … wie …«

»Was … was sagst du?« Ich sehe, dass ihre Lippen sich bewegen, verstehe aber kein einziges Wort. In meinen Gehörgängen klingelt’s durch wie bei einer Service-Hotline: »Einen Moment, Sie werden mit dem nächsten freiwerdenden Ohr verbunden.«

Nach einer langen, sehr langen Weile ist endlich wieder an Kommunikation zu denken. »Sag mal, kriegst du eigentlich noch mit, wie laut es hier ist? Sorry, ich ziehe die Frage zurück. Natürlich kriegst du nix mit, sonst stünde ich wohl nicht hier! Wenn du Musik hörst, dann entscheide dich bitte für eine einzige Schallquelle und am liebsten eine, bei der die Decke nicht wackelt. Und räum‘ hier bitte mal wieder auf – ich bin nie sicher, ob ich gerade auf den Hund trete, eine Katze oder auf deine Wäsche!«

»Chill mal, Dad – Hund oder Katze würdest du hören, selbst bei der Lautstärke! Ha,ha.«

Einige Zeit später sind meine Mahnungen wieder vergessen. Man hat Fun und Freunde und alle im Haus sollen daran teilhaben dürfen – Partiiiie, yeah! Aber nüsch müd mür, mei Guhdste! Ich bin inzwischen technisch hochgerüstet. Mein Smartphone kann sich mit allen möglichen Endgeräten verbinden! Mein Vater wäre begeistert gewesen! Kannte er im vor-digitalen Zeitalter nur die 1-Bit-Optionen »Strom/ kein Strom«, besitze ich mittlerweile die totale Kontrolle. Mir gefällt die Lautstärke nicht und vor allem nicht Techno at midnight? Kein Problem, meine App »overruled« jeden Teenager-Musikwunsch! Jetzt mache ich mal Party! Wie wär’s mit Hans Albers? Von unten tönt kurz darauf aus allen Boxen »Jawoll, meine Herren, so haben wir es gern!« Lautes Geschrei aus der Einliegerwohnung. »Was’n das für’n Schrott?«

Ich breche die Musikeinlage ab und gebe die Kontrolle zurück. Die Schraube nicht schon am Anfang zu fest andrehen, immer daran denken: nach fest kommt lose! Bei der Folter ist es wichtig, dass man den Schmerz fein dosiert. Die Stimmung unten entspannt sich wieder – derselbe Techno, dieselbe Lautstärke!

Es folgt der nächste »musicus interruptus«! Heute stammt die Musik nicht mehr von der LP oder CD, heute bedient man sich eines der vielen Streaming-Portale. Das allerdings macht verwundbar! Mehr Technik führt nicht zwangsläufig zu mehr Sicherheit! Was, wenn beispielsweise das WLAN kurzzeitig ausfällt? Einmal Router durchstarten dauert einige Minuten und geht auf Knopfdruck. Via Handy! Da geht dann mal gar nichts mit Streaming. No Stream, no Volume! Kapiert, probiert – unten herrscht auf einmal Stille.

»O Mann, was ist jetzt schon wieder?« Ich helfe kurzfristig aus und überbrücke die streamlose Zeit mit einem Potpourri aus alten UFA-Schinken von Lale Andersen, Marika Röck und Zarah Leander: »Ich weissss, essss wirrrd ainmal ain Wondärrrr gescheh’nnn …« Von unten hört man Schreie wie von Vampiren bei Tageslicht. Ich liebe die heutige Technik! Was waren dagegen schon Vaters Stromsperren – – –

Inzwischen haben wir uns arrangiert. Friedliche Koexistenz. Vereinzelt, so ab und an, triggert Beelzebub mich aber doch noch zu kleinen Bosheiten. Gerade heute fragte mich mein Handy, ob ich das Video nicht lieber auf einem größeren Bildschirm anschauen würde. Es schlägt mir Tochters IMAX-formatigen Fernseher vor. Ob das wirklich klappt? Mal ausprobieren! Auf meinem Handy stoppt die Anzeige. Sekundenbruchteile später höre ich von unten einen kräftigen Fluch: »Verd*** Sch***, Vaddr! Ich schaue gerade meine Serie!!!«

Yep, funktioniert!